Auf Tolkiens Spuren – Unsere Reise in die Schweiz
Ich war 8 Jahre alt, als ich die „Der Herr der Ringe“ – Filme gesehen habe. Seitdem träume ich davon nach Neuseeland zu reisen. Nicht nur aufgrund der Filme, versteht sich. Auch sonst ist dieses Land einfach überirdisch schön.
Nun ist mein Studentenbudget leider nicht gerade groß und besonders gut im Sparen war ich bisher auch nicht. Also musste für den letzten Sommerurlaub erst einmal ein Ziel gefunden werden, das etwas leichter als durch einen mehr als 20-stündigen Flug zu erreichen ist.
Was bietet sich da besser an als die Schweiz? Peter Jackson hat zwar Neuseeland als „sein“ Mittelerde auserkoren, doch Tolkien selbst hat sich von der Schweiz zu seinen Schauplätzen inspirieren lassen. Davon erzählt er in einem Brief an seinen Sohn Michael aus dem Jahr 1968, mehr als 50 Jahre nach seiner Reise. Er berichtet ausführlich wo er überall gewesen ist und wie er die vielen Eindrücke in seinen Büchern verarbeitet hat (nachzulesen in The Letters of J. R. R.Tolkien: A Selection).
Tolkien war 19 Jahre alt als er in die Schweiz reiste und stand kurz davor, sein Studium in Oxford zu beginnen. Die Reisegesellschaft bestand aus 12 Personen, darunter auch etliche Frauen und Kinder. Sie waren meist zu Fuß unterwegs und schliefen in Gasthäusern entlang des Weges oder in Scheunen im Stroh, wenn sich keine andere Möglichkeit fand.
Eine Gegend die Tolkien nach seiner Reise besonders im Gedächtnis geblieben war, stand auch auf unserem Plan. Allerdings waren wir nicht zu Fuß unterwegs, sondern in einem kleinen Ford Fiesta, der gerade genug Platz für drei Personen und unsere Ausrüstung bot. Von Erfurt aus ging es zu zweit los. Unterwegs mussten wir noch einen Stop einlegen, um die Dritte im Bunde einzusammeln und weiter ging es Richtung Süden. Nur nicht ganz so weit, wie eigentlich geplant. Am ersten Abend unserer Reise strandeten wir auf einem kleinen Campingplatz in Heidelberg, direkt am Neckar, um unseren Weg dann am nächsten Tag ausgeruht fortzusetzen. Wir überquerten die Grenze bei Schaffhausen, legten eine Pause ein um uns den Rheinfall anzuschauen und erreichten am Nachmittag Zürich. Dort schlugen wir unsere Zelte auf einem Campingplatz am Stadtrand auf und verbrachten den Abend in Zürichs wunderschöner Altstadt. Für den nächsten Vormittag hatten wir uns etliches vorgenommen, was wir in Zürich noch sehen wollten, doch besonders weit kamen wir nicht. Nachdem wir uns ein Plätzchen am Zürichsee gesucht und uns dort niedergelassen hatten, um das schöne Spätsommerwetter zu genießen, ließ sich irgendwie niemand mehr dazu motivieren, erneut auf Entdeckungstour zu gehen. So schlenderten wir, nachdem wir gefühlt stundenlang in der Sonne gelegen hatten, noch ein wenig durch die Innenstadt, bevor uns unser Weg weiter zum Vierwaldstättersee in der Nähe Luzerns führte. Unser Campingplatz lag direkt am Ufer des Sees. Wunderschön, aber ich hätte nie gedacht, dass Wasservögel nachts so einen Lärm veranstalten können. Was nimmt man nicht alles in Kauf, um beim Aufstehen die tollste Aussicht weit und breit zu haben?
Das Highlight unseres Aufenthalts am Vierwaldstättersee war definitiv die Stand-Up Paddling Tour. Das Wetter war nicht das beste und das Wasser eisig kalt, doch all das wurde durch die uns umgebende Landschaft mehr als entschädigt. Man kam sich schon ein wenig vor wie auf dem Anduin und erwartete nach jeder Kurve auf die Argonath zu stoßen.
Am nächsten Tag führte uns unser Weg einmal quer durch die Schweiz ins kleine Städtchen Jenins – und damit zum weltweit einzigen Tolkien-Museum. Dort kann man seit Oktober 2013 Bernd Greisingers private Mittelerde-Sammlung bewundern, die größte und bedeutendste ihrer Art.
Nach einigem Suchen hatten wir die richtige Adresse gefunden und wurden auch schon erwartet. Wir hatten Glück – normalerweise sind die Führungen durchs Museum schnell ausgebucht, doch an diesem Tag waren wir die einzigen Besucher und kamen so in den Genuss einer „privaten“ Führung. Der Eingang zum Museum befindet sich im Garten des beeindruckenden Grundstücks der Familie Greisinger. Zugegeben, der Ausblick über das Rheintal war sehenswert, doch unser Blick wurde gefangen gehalten von einer runden, grünen Tür, die wir so schon mehrere Male auf Bildern oder im Film gesehen hatten – dem Eingang zu Beutelsend! Gott, was würde ich dafür geben, eine Hobbithöhle im Garten stehen zu haben! Ehrfürchtig traten wir über die Schwelle und befanden uns in der Eingangshalle der Beutlins. Ich hatte augenblicklich den Drang den Kopf einzuziehen, um mich nicht am herabhängenden Kronleuchter zu stoßen. Von der Eingangshalle aus ging es ins Kaminzimmer, das genauso urig und einladend wirkte wie ich es mir immer vorgestellt hatte.
Man wusste gar nicht, wohin man zuerst schauen sollte. Überall hingen wunderschöne Gemälde von Künstlern wie Alan Lee, Ted Nasmith und Jay Johnstone – natürlich alles Originale. Auch Requisieten aus den Filmen konnte man bestaunen. Auf dem Kaminsims lag Bilbos Vertrag in doppelter Ausführung: die Nachbildung, die man bei WETA bestellen kann und das Original aus dem ersten Teil der drei „Hobbit“ Filme. Auf einige Schätze mussten wir auch erst hingewiesen werden, zum Beispiel auf den Kronleuchter an der Decke des Kaminzimmers, der aus Tolkiens Privatbesitz stammte.
Nachdem wir eine Weile im Kaminzimmer gesessen und staunend den Erzählungen Bernd Greisingers gelauscht hatten (der es sich nicht nehmen lies unser Tolkien-Wissen immer wieder mit gezielten Fragen auf die Probe zu stellen) ging es weiter in den dritten Raum der Hobbithöhle, in Bilbos (und später Frodos) Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch lagen natürlich unzählige Karten und Skizzen, darunter auch Thrors Karte vom Einsamen Berg. Anschließend mussten wir Beutelsend schweren Herzens verlassen. Wir traten durch eine Tür und fanden uns in einem dunklen Korridor wieder, der den Eingang zu den Minen von Moria bildete. Eine Treppe, die von zwei Orks bewacht wurde, führte hinab ins Dunkel. Doch bevor wir uns an den Abstieg machten, durften wir noch einen Blick hinter eine weitere, eher unscheinbare Tür werfen, hinter welcher die größte Sammlung an Büchern von und über Tolkien verborgen lag, die ich je gesehen habe. Wie gerne hätte ich mich dort näher umgesehen, aber die Besichtigung ging weiter – und die größten Schätze sollten erst noch kommen.
Unser Weg durch Moria führte vorbei an einem (ziemlich großen!) Balrog und Collectibles aller Art, auch darunter wieder ein paar Originale von WETA Workshop, bis wir nach Lothlorien kamen. In der Mitte des Raumes stand Galadriels Spiegel – ein sehr beliebtes Fotomotiv – und im Raum verteilt standen wunderschöne Vitrinen gefüllt mit allerlei Schmuckgegenständen und Accessoires aus den Verfilmungen von Tolkiens Werk. Interessiert blätterten wir durch ein Originalskript des Films „Die Rückkehr des Königs“ bevor es nach Gondor ging. Wir stiegen eine Treppe nach oben, die von den Argonath bewacht wurde und befanden uns nun auf einer kleinen Galerie. Dort befanden sich, sicher hinter Glas verstaut, zahlreiche Erstausgaben von Tolkiens Werken. Handsigniert! Darunter befand sich auch eine Erstausgabe von „The Hobbit“ die laut Greisinger so viel Wert ist wie ein Ferrari. „Ich wüsste für was von beidem ich mich entscheiden würde …“ murmelte ich, als meine Augen immer größer wurden.
Wir folgten Bernd Greisinger in den nächsten Raum, in welchem neben vielen weiteren Kunstwerken auch große Vitrinen standen, die vermutlich jede einzelne Sammelfigur enthielten, die WETA jemals zum Verkauf angeboten hat – zumindest von den „Guten“. Sauron, Saruman und Co. verbargen sich in einem kleinen, niedrigen und engem Raum, der in dunkles, rotes Licht getaucht war. Ein schauriger Anblick!
Durch einen schmalen, dunklen Korridor ging es nun nach Fangorn, wo wir von einem sicher lebensgroßen Baumbart begrüßt wurden. Im museumseigenen Kino, in dem eine großer Smaug unter der Decke schwebt, wurde zu guter Letzt ein Film über die Entstehung des Museums gezeigt, bevor wir Mittelerde wieder verließen. Überrascht stellten wir fest, dass die Sonne bereits untergegangen war. Ein Blick auf die Uhr verriet uns, dass wir mehr als 4 Stunden im Museum verbracht hatten!
Das Greisinger Museum war den Besuch mehr als wert und, was mich angeht, wird es sicher nicht bei einem Besuch bleiben. Ich komme wieder! Und wer jetzt auch neugierig geworden ist, der informiere sich hier: http://www.greisinger.museum/
Unser nächstes Ziel war das Lauterbrunnental, das Tolkien auf seiner Reise durch die Schweiz auch besuchte und welches seinen Zeichnungen zufolge Vorbild für Bruchtal war. Das wollten wir uns näher ansehen. Schon die umliegende Gegend, das Berner Oberland, war wunderschön, doch als wir dann langsam ins Tal hineinfuhren blieb uns vor Staunen der Mund offen stehen. Rechts und links von uns ragten riesige Felswände fast senkrecht in die Höhe, von denen sich unzählige Wasserfälle (72, um genau zu sein) in die Tiefe stürzten. In der Ferne konnte man die schneebedeckten Gipfel von Mönch, Eiger und Jungfrau erkennen, die einen sofort ans Nebelgebirge denken ließen. Ein Fluss, die Weiße Lütschine, schlängelte sich durch das Tal, genau so, wie man es von Tolkiens Darstellungen Bruchtals kannte (und der Fluss der durch Bruchtal fließt heißt Bruinen oder Lautwasser. Lauterbrunnen, Lautwasser – na, wer merkt was? ;-) ).
Wir schlugen schnell unsere Zelte auf und machten uns daran, die Gegend zu erkunden. Schnell hatten wir uns für den nächsten Tag eine Wanderroute ausgesucht. Und die sollte es in sich haben!
Wir standen früh auf, um mit der Seilbahn bis zur ersten Bergstation hinaufzufahren. Das Tal lag noch im Dunkeln, da die Sonne die umliegenden, hohen Berggipfel noch nicht überwunden hatte. Doch oben angekommen erwartete uns die wunderschöne Spätsommersonne, die sich an diesem Tag noch einmal so richtig ins Zeug legte! Besser hätte unsere Wanderung gar nicht anfangen können.
Wir folgten einem Wanderweg durch das kleine Örtchen Gimmelwald und genossen das wunderschöne Bergpanorama um uns herum und den Ausblick ins Sefinental unter uns, durch welches auch die Lütschine rauschte. Schon bald brachten uns die Sonne und der Anstieg ins Schwitzen – und das, wo wir gefühlt nur ein paar hundert Meter über uns schneebedeckte Gipfel erkennen konnten.
Unser Weg führte uns an vielen kleinen Wasserfällen vorbei und durch einige dichte Waldstücke. Irgendwann entdeckten wir im Unterholz ein verwittertes Holzschild, dass sicher irgendwann einmal ein Wegweiser gewesen war und sicher auf den kleinen Trampelpfad hingewiesen hatte, den wir fast übersehen hatten. Wir mussten nicht lang überlegen und verließen den Hauptweg.
Der Trampelpfad führte uns bergauf durch ein kleines Waldstück, bis vor uns eine Felswand fast senkrecht aufragte.
An dieser Felswand gingen wir weiter entlang, teilweise ohne überhaupt noch einen Weg vor uns zu erkennen oder durch knöchelhohe Brennnesselfelder. Doch wir wurden mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt, die wir auf dem Hauptweg sicher nicht gehabt hätten. Tief unter uns konnten wir noch immer den Fluss rauschen hören, auch wenn wir ihn nicht mehr sahen. Das war ungünstig, hatte unser Plan doch vorgesehen den Fluss irgendwann zu kreuzen, um die andere Seite des Tals und von dort einen Berggasthof zu erreichen. An einem größeren Wasserfall beschlossen wir einfach unser Glück zu versuchen und dem Wasser hinab ins Tal zu folgen. Eine Abkürzung! Querfeldein!
Der Abstieg erwies sich als etwas schwieriger als gedacht, aber einige Zeit später ließen wir uns erschöpft am Ufer des Flusses nieder – und staunten nicht schlecht. Die Gischt ließ den Fluss fast weiß wirken. Vor uns lag eine Furt, und während unsere Uferseite recht flach war, stieg die gegenüberliegende Seite steil an. Wir fühlten uns sofort an die Bruinenfurt erinnert, an welcher (zumindest in der Kinoversion) Arwen mit dem ohnmächtigen Frodo im Sattel den Ringgeistern entgegentritt.
Nachdem wir den Fluss überquert hatten, wartete nun der Aufstieg zum Berggasthof Tschingelhorn auf uns. Die Gegend erinnerte nun sehr an den Alten Wald und wir erwarteten jeden Moment, auf einen der Ringgeister zu stoßen. Hoffentlich war Tom Bombadil auch in der Nähe, um uns im Ernstfall beizustehen!
Der Weg wurde immer schmaler und steiler. Anfangs war er noch gut ausgebaut, doch jetzt mussten wir häufiger über umgefallene Baumstämme oder Felsbrocken klettern, die uns den Weg versperrten. Wir stolperten immer häufiger über Wurzeln und drohten, im nassen Laub auszurutschen. War das vielleicht der alte Weidenmann, der den Wald gegen uns hetzte? Mein Kreislauf schien langsam auch die Nase voll zu haben – ich hatte nicht viel gegessen und wie immer zu wenig getrunken. Es dauerte nicht lange und ich fühlte mich wie Frodo beim Erklimmen des Schicksalsberges, und wahrscheinlich sah ich auch nicht besser aus. Wie sehr wünschte ich mir einen Sam, der sich mich einfach über die Schulter wirft! Stattdessen gelang es mir beim Überqueren des nächsten Wasserfalls mich noch einmal richtig auf die Nase zu fallen.
Triefend, zerschrammt, erschöpft und nicht in der allerbesten Stimmung erreichten wir den Berggasthof und wurden, mal wieder, von der wunderschönen Aussicht und einer heißen, selbstgemachten Suppe mit frischem Brot für die Strapazen entschädigt. Mit Blick auf die Schmadribachfälle, die es sicher waren, die Tolkien in seiner Darstellung von Bruchtal gezeichnet hat, beobachteten wir, wie die Sonne hinter den hohen Gipfeln verschwand. Sofort wurde es merklich kühler. Der Abstieg verlief deutlich weniger spannend, denn wir bewegten uns wieder auf befestigten Wegen.
Nach fast 12 Stunden erreichten wir unseren Campingplatz und ich bin mir sicher, dass ich wortlos auf meiner Matratze zusammengebrochen bin und mich bis zum nächsten Morgen nicht bewegt habe. Hinter uns lag einer der schönsten, aber mit Sicherheit der anstrengendste Tag unserer Reise. Doch waren wir uns einig, in dieser Gegend, die in ihrer Schönheit problemlos mit Neuseeland mithalten kann, unser persönliches Stückchen Mittelerde gefunden zu haben.
Unseren letzten Tag in der Schweiz verbrachten wir in Bern. Wir mieteten uns Fahrräder (wer hat behauptet, das Radfahren gegen Muskelkater hilft?) und erkundeten so die Stadt. In Gedanken kehrten wir jedoch immer wieder ins Lauterbrunnental zurück. So endete unser kleiner Urlaub, doch wir würden sicher irgendwann wiederkommen.